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Schwob, Marcel: Manapouri. Reise nach Samoa 1901/1902

Herausgegeben von Gernot Krämer

Berlin 2017: Elfenbein Verlag. 215 S., Hardcover, Preis: € 22.00, ISBN 978-3-932245-82-4

Genre: Belletristik

Die „Reise nach Samoa“ unternahm der 1867 in Chaville geborene französische Schriftsteller und Übersetzer Marcel Schwob in der Hoffnung, seinen angeschlagenen Gesundheitszustand zu verbessern. Er folgte damit seinem großen Vorbild Robert Louis Stevenson nach, den Schwob verehrte. Aus diesem Grund war das Endziel Samoa, wo Stevenson kurz zuvor gestorben war und dessen Grab Schwob besuchen wollte. 

Der aus einer ursprünglich im Elsass beheimateten jüdischen Familie stammende Marcel Schwob besuchte in Paris u.a. das Lycée Louis-le-Grand, und bestand im Jahr 1888 die École normale supérieure mit Auszeichnung in den Fächern Sprachen und Literatur. In der Folge übersetzte Schwob zahlreiche Werke, u.a. von Oscar Wilde, aus dem Englischen und Deutschen ins Französische. Dabei hatte er 1884 das Werk von Robert Louis Stevenson entdeckt und übersetzt und war als Brieffreund mit ihm in Kontakt gewesen. Darüber hinaus verfasste er auch mehrere eigene Werke. Mitte der 1890er Jahre befiel den Schriftsteller eine schwere Krankheit, die sich trotz mehrerer Operationen schrittweise verschlimmerte und sein literarisches Schaffen in der Folge fast vollständig zum Erliegen brachte. Auf ärztliche Empfehlung und seinem Vorbild Stevenson nacheifernd begab er sich auf eine Seereise, begleitet von seinem chinesischen Pfleger Ting und dem Affen Lanka. Im Jahr 1900 hatte Schwob die Schauspielerin Marguerite Moréno geheiratet, die er bereits 1895 kennengelernt hatte. Sein Gesundheitszustand war jedoch über all die Jahre prekär – und er verschlechterte sich zusehends, vor allem wegen einer krankheitsbedingten Morphiumabhängigkeit. Dem Schicksal eines frühen Todes versuchte Schwob durch die Reise zu seinem Sehnsuchtsort Samoa zu entkommen.

Das Buch vereint in chronologischer Folge die Briefe, die Schwob von dieser Reise an seine gerade erst geehelichte Frau schrieb. Sie zeichnen die Etappen der Reise über Ägypten, Dschibuti, Ceylon und Australien bis nach Samoa nach. Poetische Schilderungen seiner Reiseeindrücke wechseln sich mit sarkastisch kritischen Bemerkungen über seine Mitreisenden ab. Das Wetter, das Meer, Szenen an Bord des Schiffes, Situationen wie die Quarantäneformalitäten und -aufenthalte sowie Erlebnisse bei den diversen Landgängen geben ein lebendiges und sehr detailliertes Bild vom Reisen mit den Passagierschiffen zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Der Titel des Buches „Manapouri“ ist der Name jenes Schiffes, mit dem er die letzte Etappe von den Fidschi-Inseln zum Endpunkt seiner Reise, nach Samoa zurücklegte. Die Reise entwickelte sich – je näher er Samoa kam –, zu einer finanziellen und gesundheitlichen Katastrophe, wie es schon im Klappentext des Buchumschlags erläuternd vermerkt wird. Tatsächlich war Schwob, als er nach Samoa gelangte, bereits hoch verschuldet und musste immer wieder um Geld aus der Heimat bitten. Seine hochgesteckten Erwartungen an Samoa erfüllten sich nicht, seine Stimmung schlug in herbe Enttäuschung um. „Ich bin in Samoa und schlage mich mit schrecklichen materiellen Schwierigkeiten und hohen Kosten herum….“ Wenige Sätze später vermerkt er in seinem Brief vom 6. Januar 1902 kurz nach seiner Ankunft in Apia: „Die Mücken fressen mich auf, und ich schwitze Tag und Nacht…. Das Land ist furchtbar. Die Weißen, die hier wohnen, sind wie Verdammte der Hölle. Ich habe es eilig wegzukommen“. Dennoch gelingen ihm einige Begegnungen, die er detailliert festhält. So kann er den samoanischen Titelträger und Oberhäuptling Mata’afa treffen, der im innersamoanischen Ringen um die Vormacht gegen seinen Widersacher Malietoa zum damaligen Zeitpunkt als einflussreich galt. Schwob nimmt an Kavazeremonien teil, beschreibt die samoanischen Krieger und Titelträger mit ihren speziellen Tätowierungen und wird von den Samoanern so wie zuvor schon Robert Louis Stevenson als „talkman“, tulafale bzw. tusitala bezeichnet. D.h. er muss den Einheimischen Geschichten erzählen, was er tut, sich dabei jedoch unbehaglich fühlt. Auch das ihm zugewiesene Haus, ein traditionelles samoanisches fale, welches nach allen Seiten hin offen ist und wo er immer von Samoanern umgeben ist, behagt ihm nicht. Das Klima auf Samoa trägt nicht zu Schwobs Verbesserung des Gesundheitszustands bei, ganz im Gegenteil. Er bekommt hohes Fieber und eine Entzündung in der rechten Lunge. Ohne Geld bittet er in den Briefen darum, ihm solches zuzusenden, damit er schnellstmöglich die Heimreise antreten kann, was ihm schließlich überhastet gelingt – ohne das Grab von Robert Louis Stevenson gesehen zu haben. Drei Jahre später stirbt Marcel Schwob in Paris.

Für Ozeanien- und Samoa-Interessierte liegt der Mehrwert dieses Buches in der akribischen Darstellung der Reisebedingungen jener Epoche sowie in den vom Briefschreiber in seinen anschaulichen, literarischen Ausführungen dargestellten Erlebnissen, Erfahrungen und selbstkritischen, schonungslosen Kommentaren, die ein Gegenbild zum ansonsten häufig transportierten Südseeklischee darstellen. Schon allein deshalb ist dieses Buch ein lesenswerter Beitrag zur Erhellung atmosphärischer Bedingungen jener Zeit, jenseits von Kolonialverherrlichung und Südseeträumerei. Es ist die minutiöse Darstellung einer schrittweisen Desillusionierung von allzu hohen Erwartungen bei der Konfrontation mit den tatsächlichen Realitäten. Es ist der Bericht einer gescheiterten Person.  

Hermann Mückler