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De Antoni, Alexander: Feathers of a Bird of Paradise. interlinked components of Asmat cultural and social concepts.

Wien 2020: IVA-ICRA/new academic press, 104 S., Hardcover, € 49.00, ISBN 978-3-900265-29-8

Genre: Wissenschaft

Das querformatige, reich bebilderte Buch widmet sich kosmologischen Vorstellungen der Asmat. Diese Papua-Ethnie, die in verschiedene Subgruppen untergliedert ist, siedelt im Süden des zu Indonesien gehörenden Westteils von Neuguinea (West-Papua, Irian Jaya) an der Küste und bis weit ins Hinterland in zahlreichen weit verstreuten Dörfern, häufig entlang von Flüssen. Der Autor Alexander de Antoni, Ethnologe und Priester, hat bereits mit seiner Dissertation „Einbaum nach Drüben. In mythische Erzählungen und kosmologische Vorstellungen der Asmat eingeschriebene Strukturen der sozialen Ordnung“ (2009) sowie dem in Englisch abgefassten Buch „Dugout to the Other Side: Social structures inscribed in mythic tales and cosmological concepts of the Asmat“ (2010) und dessen Fortsetzung (2013) gezeigt, dass er über die sozialen Praktiken der Asmat im Kontext von deren Verortung in Mythen bestens Bescheid weiß und in der Lage ist, Mechanismen eines mentalen Strukturmusters, welches das soziale Leben determiniert, auch theoretisch entfalten und erklären zu können.

Das vorliegende Buch ist neben den rein textbasierten erwähnten Werken nun eines, welches die bereits getätigten Aussagen abrundet und in Teilbereichen noch einmal präzisiert. Als Besonderheit sowie zur besseren Veranschaulichung der Inhalte greift der Autor auf umfangreiches Bildmaterial zurück. Dieses hat de Antoni, der 1984 das erste Mal bei den Asmat in West-Papua war, mehrmals wiederkehrte und im Jahr 2007 im Rahmen einer Feldforschung eine Re-study durchführte, vor Ort im Rahmen mehrerer Feldforschungen selbst angefertigt. In diesem Buch reflektiert de Antoni zusammenfassend die Erkenntnisse, die er aus seinen Forschungen über die Mythen der Asmat und deren Auswirkungen auf die Lebenswirklichkeit der Menschen gewinnen konnte. In seiner Analyse geht er der Frage nach, wie diese mythischen Erzählungen nicht nur wichtige Aspekte ihres sozialen und kulturellen Verständnisses offenbaren, sondern in diesen auch Details historischer Ereignisse dieser nichtliterarischen Ethnie verschlüsselt sind.

Der Titel des Buches nimmt auf die hohe Bedeutung des Paradiesvogels Bezug, der ausschließlich auf Neuguinea vorkommt und einige Arten davon in den undurchdringlichen Urwäldern des Schwemmlands bzw. des ansteigenden Hinterlands zu finden sind. Bereits in der Einleitung kann er mit der mythologischen Darstellung des Paradiesvogels – der die Früchte von Bäumen frisst, die wiederum als „Kopf“ der Bäume gesehen werden und folglich der Paradiesvogel ein „headhunter“ ist –, wenn er sich seine Früchte holt, auf den Mythenreichtum der Asmat hinweisen. Die Bedeutung der Paradiesvogelfedern spielt in weiterer Folge eine Rolle. Ausgehend von den Veränderungen, denen die Asmat-Gruppen spätestens seit den 1950er Jahren ausgesetzt waren, erläutert der Autor historische Rahmenbedingungen und den Kulturwandel, der auch einen Bedeutungswandel der Mythen für das alltägliche und das rituelle Leben bedeutete. De Antoni konnte selbst über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten diese Veränderungen beobachten. Ausgangspunkt für seine Annäherungen an die Asmat waren Kontakte, die der Autor insbesondere zu vor Ort tätigen Missionaren hatte. Demographische und sprachliche Veränderungen sowie Einflüsse von Cargo-Kulten werden in ihrem Einfluss auf die Asmat thematisiert. Ein Kapitel widmet sich den Zeugnissen der materiellen Kultur der Asmat. So weisen geschnitzte Reliefdarstellungen beispielsweise charakteristische stilistische Merkmale auf, indem symbolische Motive aus der gespiegelten Duplizierung von Bildern zusammengesetzt werden. Ein vergleichbares dualistisches Grundmuster konnte in der Praxis der Namensgebung der gegenständlichen ethnischen Gruppe dokumentiert werden. Darüber hinaus ist eine solche, auf Integration ausgerichtete, dualistische Struktur in einer Vielzahl von Lebensbereichen relevant. In diversen Feldern des sozialen und kulturellen Lebens findet solch ein grundlegendes, ethnische Identität stiftendes Konzept seine Ausformung, was dazu führt, dass dieses für die Asmat fundamentale Prinzip eine Vielzahl von Praktiken miteinander verknüpft. De Antoni kennt die einschlägige ethnologische Fachliteratur (z.B. Trenkenschuh) und macht dies durch zahlreiche Verweise deutlich.

De Antoni verweist auf das Zusammenspiel von Text und Bild zur Erreichung eines holistischen Bildes in seinem Buch mit der Arbeit an einem Puzzlespiel. Nicht zuletzt offeriert dieses Buch in seinen Abbildungen Szenen, Personen und Gebäude, die es in dieser Form immer seltener und zum Teil heute gar nicht mehr gibt. Der Mehrwert in diesem Buch  liegt u.a. in der Tatsache begründet, dass es zwar etliche Bücher über die Asmat gibt, diese aber entweder überwiegend Bildbände über das Kunstschaffen der Asmat darstellen (wie beispielsweise die Bücher des Ehepaars Conrad), oder aber ethnologische Werke sind, deren Fokus nicht notwendigerweise auf kosmologischen Aspekten liegt. Aus der Art und Weise, wie in dem Buch Details zu den kulturellen Praktiken und den sozialen Strukturen der Asmat behutsam herausgearbeitet werden, wird ersichtlich, dass der Autor Respekt und Sympathie für die ihm als Informanten zur Verfügung stehenden Personen hatte. Das Buch, welches im IVA-ICRA Architektur und Kulturgeschichte-Verlag der new academic press erschienen ist, erscheint vordergründig aufgrund seiner opulenten Bildgestaltung als „coffee table book“; es ist aber mehr. Es ist eine komprimierte und detaillierte Darstellung von Orientierungs- und Verortungskategorien einer Ethnie, bei der Mythen nach wie vor – trotz Christianisierung und Modernisierung – eine entscheidende Rolle spielen für die Ordnung der Welt und die Regelung des sozialen Lebens in der Gruppe. Das Buch von Alexander de Antoni ist nicht nur für einschlägig an Neuguinea bzw. Melanesien interessierte Kultur- und Sozialanthropologen bedeutsam, sondern für alle diejenigen, die sich mit der Vielfalt unterschiedlichster kosmologischer Lebensentwürfe beschäftigen.

Hermann Mückler