9.3.1944 – 18.9.2018
Gelebte Internationalität
Die letzten Lebensjahre des Politikwissenschaftlers und Ozeanien-Experten Ingfrid Schütz-Müller waren von schwerer Krankheit geprägt. Dennoch kam die Nachricht von seinem Ableben für alle, die ihn näher kannten und begleiten durften unerwartet. Hatte man sich doch daran gewöhnt, dass Ingfrid den Unbillen seiner Krankheit mit der ihm eigenen Gelassenheit und Zuversicht begegnete, die ihn zeitlebens auszeichnete, und die ihm nun half, sein Los geduldig zu ertragen. Das war mindestens einer seiner positiven Wesenszüge, nämlich dass er immer positiv dachte und in allem das Vorteilhafte erblicken konnte – und damit nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch das seiner Angehörigen, Freunde und der zahlreichen Studentinnen und Studenten, die er im Laufe seiner akademischen Karriere betreuen konnte, positiv bereicherte. Für Ingfrid war das Glas immer halbvoll und nie halbleer. Verständnisvolles Zuhören, ermunternde Worte und Unterstützung bei Problemen – das sind nur einige Aspekte, die zu seinen Vorzügen zählten und ihn äußerst beliebt bei seinen Studenten machten.
Noch während des Zweiten Weltkriegs geboren, erlebte Ingfrid Schütz-Müller als jüngstes von drei Kindern die schwierige Nachkriegszeit und den mühevollen Wiederaufbau Österreichs hautnah mit. Vielleicht wuchs seine Sensibilisierung für politische Entwicklungen bereits in jenen Kinder- und Jugendjahren, in denen er eine rasch sich wandelnde Welt erlebte, die sich aber konfrontativ in Blöcken ordnete und nicht immer friedlich präsentierte. Wie wichtig er die Erhaltung des Friedens und den Zusammenhalt der Gesellschaft erachtete, wird aus der Tatsache ersichtlich, dass er sich in seinem Beruf als Politikwissenschaftler zeitlebens der Friedens- und Konfliktforschung und den Mechanismen und Praktiken des Konfliktmanagements widmete. Denen, die seine Lehrveranstaltungen am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien besuchten, versuchte er zu vermitteln, wie schwierig, aber auch wie wichtig Konfliktlösungsstrategien und die Bereitschaft zur Konsensfindung sowie Kompromissbereitschaft im nationalen, europäischen und internationalen Kontext sind. Dabei war er ein überzeugter Europäer, wie er es bereits aus seiner 1974 verfassten Dissertation mit dem Titel „‘Europa‘ – in der österreichischen Nachkriegspolitik 1945-1956“ ersichtlich ist. Dass er dabei nationalen Entwicklungen in Österreich die gleiche Aufmerksamkeit widmete, wird aus seiner Habilitationsschrift ersichtlich, die den Titel „Entscheidungsträger zentraler Agrarpolitik in Österreich: Einheit und Konflikt“ trägt und in der er einmal mehr sein Interesse an Strategien der Konfliktlösung bekundete, darüber forschte und seine Ergebnisse veröffentlichte. Darüber hinaus sah er als Jurist und Politikwissenschaftler immer das größere Ganze und die Einbindung der Nationalstaaten in suprastaatliche Institutionen und Organisationen, sei es die Europäische Union, oder die Vereinten Nationen und deren nachgeordnete Teilorganisationen. Sie waren für ihn notwendige und sinnvolle Entwicklungen in einer zunehmend globalisierten Welt.
Über einen Zeitraum von mehr als dreißig Jahren hat Ingfrid Schütz-Müller als Universitätsprofessor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien über 65 Exkursionen zu Zentren internationaler Politik für seine Studenten angeboten. Die Exkursionen zum Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York, die jedes Jahr um Ostern herum stattfanden, waren legendär und immer ausgebucht. Es gehörte einfach dazu, dass jene, die sich für internationale Politik interessierten und in Wien studierten, zumindest eine dieser Exkursionen mitmachten und dabei die Gelegenheit nutzten, mit den höchsten Spitzen internationaler Organisationen in Kontakt kommen und Fragen stellen zu können. Diese große Zahl an über Jahrzehnte jährlich stattfindenden Exkursionen – das war etwas, was es bis dahin am Wiener Institut für Politikwissenschaft in dieser Intensität und Regelmäßigkeit nicht gegeben hat. Viele der an diesen Exkursionen teilnehmenden Studenten gelang es, noch während ihres oder nach ihrem Studium in internationale Institutionen und Organisationen einzusteigen und sich dort beruflich zu verankern und weiterzuentwickeln. Über die Jahre hinweg entstand damit ein generationsübergreifendes Netzwerk von jungen Entscheidungsträgern, die wiederum Ingfrid Schütz-Müller bei seinen Besuchen aufsuchen und deren Expertise er für seine Studenten nutzen konnte. Auch seine Exkursionen nach Den Haag zum Internationalen Strafgerichtshof, dem Internationalen Gerichtshof, dem Ständigen Schiedsgerichtshof, zum Jugoslawientribunal u.s.w., nach Brüssel zu allen dort präsenten EU-Einrichtungen und zur UNESCO nach Paris wurden beliebte Dauerbrenner und Pflichtbestandteile eines auf Internationalität ausgerichteten politikwissenschaftlichen Studiums. Ingfrid Schütz-Müllers Bestreben war es, möglichst vielen Studenten Auslandserfahrung zu ermöglichen. Konsequenterweise war er daher an seinem Institut über viele Jahre hinweg der Koordinator für alle ERASMUS-Aktivitäten, die den europaweiten Studierendenaustausch forcierten. Dass seine Expertise gerne angenommen wurde, ist aus der Tatsache ersichtlich, dass er als Gastprofessor in Konstanz, Aix-en-Provence, Kopenhagen, Pavia und Warwick immer wieder gern gesehener Gast war. Auch das offizielle Österreich wollte auf seine Erfahrungen nicht verzichten. So war er ab 2007 mehrmals als Sondergesandter des Bundesministeriums für europäische und internationale Angelegenheiten in diplomatischer Mission im pazifischen Raum unterwegs, um Österreichs Bewerbung für den nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat vor Ort zu bewerben und Kooperationsangebote zu unterbreiten.
Dass die politischen Systeme der Nationen dieser Welt sehr unterschiedlich sein konnten, versuchte Ingfrid durch seine Exkursionen in andere Weltteile zu vermitteln. Zahlreiche Reisen zu den pazifischen Inselstaaten und nach Kuba ermöglichten es den daran Teilnehmenden, auch andere Sichtweisen auf die internationale Politik zu gewinnen. Sowohl bei seinen New York- als auch bei seinen Kubareisen konnte er auf die tatkräftige organisatorische und inhaltliche Mitwirkung seines Bruders Ingolf setzen, der selbst jahrzehntelang als einer der ranghöchsten österreichischen Vertreter in einer UN-Organisation (UNDP) tätig war und der durch seine Kontakte und sein Engagement dazu beitrug, dass die Schütz-Müller’schen Exkursionen etwas Besonderes waren und blieben. Nicht zuletzt für diese Leistung der Exkursionsorganisation und -durchführung, die mehreren Studierendengenerationen die Welt eröffnete, erhielt Ingfrid Schütz-Müller im Dezember 2014 aus den Händen des damaligen Wissenschaftsministers und Vizekanzlers Reinhold Mitterlehner das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse.
Ingfrid Schütz-Müllers besondere Vorliebe galt den pazifischen Inseln. Die Faszination der vielfältigen Kulturen Ozeaniens – der „Südsee“, wie sie allgemein nach wie vor bezeichnet wird – hatte ihn in ihren Bann geschlagen. Vor allem die kulturellen Leistungen der pazifischen Inselbewohner selbst, aber auch die historischen Leistungen der europäischen Seefahrer und Entdecker in Zusammenhang mit der Auffindung und Erschließung dieser Weltregion weckten sein besonderes Interesse. Dies schlug sich im Aufbau einer Sammlung von zeitgenössischen Karten und Ansichten sowie Büchern des 17. bis 19. Jahrhunderts nieder, die er zweimal auch einer interessierten Öffentlichkeit zeigen konnte. 1997 im damaligen Völkerkundemuseum Wien sowie 2002 in Schloss Grafenegg wurden jeweils eine Auswahl der schönsten Karten und Ansichten präsentiert. Auch hier war es ihm ein Anliegen, das Wissen um die Region, seiner Menschen und deren Kulturen sowie der vor allem neuzeitlichen historischen Ereignisse mit Interessierten zu teilen. Letztlich trugen seine mehrmaligen von ihm veranstalteten Südsee-Exkursionen dazu bei, den daran Teilnehmenden die Möglichkeit zu eröffnen, eine entlegene aber interessante Weltregion unmittelbar kennenlernen zu dürfen.
Dass er der Region Ozeanien auch in Wien immer verbunden war, zeigt sich darin, dass er einer der Proponenten und Gründungsmitglieder der Österreichisch-Südpazifischen Gesellschaft war, der er in den Anfangsjahren auch als Vizepräsident, Vorstandsmitglied und wiederholter Vortragender angehörte. Durch seine einschlägigen Lehrveranstaltungen insbesondere am Institut für Politikwissenschaft, aber auch am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie, seine Reisen sowie seiner bei allen Gelegenheiten vermittelten Begeisterung zur Region Ozeanien, hat Ingfrid Schütz-Müller in vielen eine Sensibilisierung für die aus europäischer Perspektive periphere Weltregion hervorgerufen und wach gehalten.
Die vielen berufsbedingten Abwesenheiten von zuhause mussten für seine Frau Evelyn eine Belastung darstellen, mit der diese aber kongenial umgehen konnte. Sie war ihm immer eine verständnisvolle und treue Mitstreiterin. Dass sich hier zwei Personen gefunden hatten, die gemeinsam ein gutes Team bildeten ist schon allein aus der Tatsache ersichtlich, dass Ingfrid Schütz-Müller und seine Frau vor wenigen Jahren ihr fünfzigjähriges Ehejubiläum, zusammen mit ihrem Sohn Wolfram, feiern konnten. Dass er bis zum Schluss positiv dachte, Pläne schmiedete sowie an deren Umsetzung arbeitete, und für andere tröstende Worte hatte, zeigen, dass er bis zuletzt das Leben liebte.
Mit Ingfrid Schütz-Müller verliert Österreich einen Experten für Internationale Organisationen und Internationales Konfliktmanagement, einen Pazifik-Experten – und wir alle einen Menschen, der menschlich und fachlich eine große Lücke hinterlässt.
Hermann Mückler
Danke an alle, die bei unserem Sommerabschluß an der neuen Donau dabei waren, es war wie immer sehr nett mit Euch!
Mit großer Trauer verabschieden wir uns von unserem langjährigen Vorstandsmitglied Rosmarie Stanke, die ihre Leidenschaft für den Pazifik bis zum Schluss gelebt hat.
Wir sind froh, dass sie die Geschichte ihrer persönlichen Beziehung zum Pazifik in unserem 20 Jahre Jubiläumsband der Novara (Darum Ozeanien!) mit uns noch geteilt hat.
Danke Rosemarie für die gemeinsame Zeit.